Als es den Fischern an der Ostsee einst schlecht ging, begannen sie, Teppiche zu knüpfen – nach orientalischem Vorbild, aber mit maritimen Motiven. Noch heute werden die so genannten Fischerteppiche in Handarbeit hergestellt. Und sogar aus Australien bestellt.
Fische natürlich. Daneben Wellen, Möwen, Schwäne, Stranddisteln und Anker. Die Motive der Fischerteppiche sind in erster Linie maritimer Art. Doch auch der Wald kommt auf den Teppich: mit Hirschen, Eichkatern sowie Eichenlaub. Und der Hansestadt Greifswald wird gern mit deren Wappentier, jenem mythischen Mischwesen aus Greifvogel und Löwe, ein wollenes Denkmal gewebt – als ewigem Dank.
Denn ein Greifswalder Landrat hatte einst dafür gesorgt, dass sich die Fischer mit dem Teppichknüpfen über Wasser halten konnten. 1928 war das, da standen die Fischer der Region urplötzlich vor dem Nichts. Schuld war ein dreijähriges Fangverbot in der südlichen Ostsee – es drohte Überfischung. Doch wer mit großem Geschick Netze und Reusen knüpfen und flicken könne, dachte Landrat Werner Kogge sich da, müsste doch auch in der Lage sein, Teppiche herzustellen und aus deren Verkauf ein Einkommen zu erzielen.
Auf eine Annonce meldete sich ein Rudolf Stundl (1897–1990), Textilexperte aus Österreich und bestens vertraut mit Web- und Knüpftechniken. Er entwickelte spezielle Hochwebstühle, die in die niedrigen Katen der Fischer passten, entwarf alle Teppichmotive und kurbelte den Verkauf der ersten Exemplare an. Aus der orientalischen Teppichkunst entlieh Rudolf Stundl das Material (Schafwolle) und die Knotentechnik, verzichtete aber auf deren Ornamentik. Stattdessen wurden Elemente und Ornamente aus dem Leben der Fischer zum Muster. Ein weiteres Markenzeichen: die Robustheit der Teppiche.
In der Nazizeit wurden die Teppiche als angeblich uralte nordische Tradition zu begehrten Kunstobjekten und hingen in den Stuben von NS-Größen wie Alfred Rosenberg, Herrmann Göring und angeblich sogar Adolf Hitler. In der DDR nahm die Teppichproduktion an Fahrt auf –mit der Gründung der Handwerklichen Produktionsgenossenschaft (PGH) „Volkskunst an der Ostsee“. Hier arbeiteten Frauen aus Freest – später auch aus Heringsdorf, Wolgast, Lassan und Zinnowitz auf Usedom. Vor dem Krieg war das Knüpfen reine Männersache.
Das Ende kam mit der Wende: 1992 wurde die PGH geschlossen. Alle Versuche, einen Nachfolger erfolgreich in der Marktwirtschaft zu etablieren, scheiterten. Seither werden Fischerteppiche nur noch zeitweilig in geförderten Maßnahmen und in privater Initiative gefertigt. Von Helga Grabow zum Beispiel. In ihrer Stube in Spandowerhagen knüpft sie Fischerteppiche für Liebhaber aus aller Welt, mit unvorstellbaren 58.000 Knoten pro Quadratmeter, wofür sie etwa 160 Stunden und 2.500 Gramm Wolle braucht. Selbst in Amerika und Australien schmücken ihre guten Stücke inzwischen Böden und Wände.
Umfangreiche Sammlungen an Pommerschen bzw. Freester Fischerteppichen besitzen das Stadtgeschichtliche Museum „Kaffeemühle“ Wolgast, die Heimatstube Freest, das Pommersche Landesmuseum sowie die Universität Greifswald, die auch den künstlerischen Nachlass Rudolf Stundls verwaltet. Helga Grabow findet man in der Dorfstraße 42 in 17440 Spandowerhagen. Tel. 038370/ 689118.